Placeboforschung - Mechanismen

Zuletzt aktualisiert: 05.04.2024 | Autor: Ulrike Bingel

Was passiert beim Placebo- und Noceboeffekt in Gehirn und Körper?

Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ und viele andere Gruppen von Forschenden konnten nachweisen, dass die positiven Effekte, die man während des Placeboeffektes spürt, z.B. eine Schmerzlinderung, mit messbaren Veränderungen in Gehirn und Körper einhergehen: zum Beispiel im schmerzlindernden System. Es kommt zur Ausschüttung von Botenstoffen wie körpereigenen schmerzhemmenden Opioiden (ähnlich dem starken Schmerzmittel Morphin), die sogar die Weiterleitung des Schmerzreizes im Rückenmark verändern können. Wir spüren den Schmerz nicht mehr so stark, obwohl wir gar kein Schmerzmedikament eingenommen haben. Negative Erwartungen vermögen ähnliche Mechanismen im Gehirn in Gang zu setzen. Die Ausschüttung schmerzhemmender körpereigener Opioide ist in diesem Fall allerdings stark gebremst.

Für die Placeboanalgesie, also die Effekte einer positiven Erwartung auf Schmerz, sind die beteiligten Mechanismen besonders gut verstanden. Eine der aussagekräftigsten Studien ist ein Experiment mit dem potenten Schmerzmittel Remifentanil: Den Teilnehmenden wurde ein mittelstarker Hitzeschmerz zugefügt. Dann wurde ihnen das potente Schmerzmittel in drei verschiedenen Bedingungen verabreicht. Einmal ohne Erwartung, dann mit einer positiven und einer negativen Erwartung. Das erste erstaunliche Ergebnis: Die positive Erwartung verdoppelt den schmerzlindernden Effekt. Klinisch aber umso beunruhigender ist: Die negative Erwartung hebt die Wirksamkeit des potenten Medikamentes fast auf. Diese Studienergebnisse bieten einen Erklärungsansatz, warum manche Menschen mit chronischen Erkrankungen schlecht auf Schmerzmedikamente ansprechen. Sie sind oft verzweifelt und ängstlich und haben das Vertrauen in die Medizin verloren. Dies kann die Wirkung von eigentlich wirksamen Medikamenten mindern oder sogar – wie in der Remifentanil-Studie – komplett aufheben.

Placebo- und Noceboeffekte wirken als machtvolle Mechanismen in vielen körperlichen Systemen: Besonders ausgeprägt sind sie im Bereich Schmerz und Psyche. Aber sie wirken auch im Darm, in der Lunge, im Herz-Kreislaufsystem, sowie im Hormon- und Immunsystem.

Die Mechanismen können durchaus unterschiedlich sein: Im Immunsystem zum Beispiel lassen sich Placeboeffekte durch Vorerfahrungen und Konditionierung erzielen, nicht aber durch rein verbale Informationen. Bei Depressionen wirken Placeboeffekte auf den Botenstoff Serotonin und die emotionsregulierenden Netzwerke. Das hat die Forschung in Studien mit Placebobehandlungen herausgefunden, sowie in Studien, in denen die Erwartung von Gesunden oder Patientinnen und Patienten gezielt moduliert wurde.

Anfang der 2000er Jahre erlebte die Placeboforschung einen Durchbruch durch die Entwicklung bildgebender Verfahren, die die Hirnaktivität sichtbar machen können. Mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) oder der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) gelang der Nachweis, dass bestimmte Gehirnareale durch die Gabe von Placebos stärker aktiviert werden. Diese Verfahren erlauben auch bestimmte Neurotransmitter (Botenstoffe) sichtbar zu machen: So konnte man sehen, dass während der Schmerzlinderung durch Placebos tatsächlich körpereigene Opioide ausgeschüttet werden. Dies war ein Nachweis für den neurobiologischen Mechanismus hinter dem Placeboeffekt.

Link copied to clipboard!
Bildgebende Verfahren zeigen, dass beim Placeboeffekt bestimmte Areale im Gehirn aktiviert werden: zum Beispiel das schmerzlindernde System bei der Placeboanalgesie.
Placebo- und Noceboeffekte wirken als machtvolle Mechanismen in vielen körperlichen Systemen.

Rechtefrei Copyright: LAMA Studios

Der Placeboeffekt auf Schmerzen (die sog. Placeboanalgesie) beruht unter anderem auf der Ausschüttung körpereigener Opioide.
  • REFERENZEN
    • Asan L, Bingel U, Kunkel A (2022) Neurobiologische und neurochemische Mechanismen der Placeboanalgesie. Schmerz, 36:205–212. doi:10.1007/s00482-022-00630-4
    • Bingel U (2020) Placebo 2.0: the impact of expectations on analgesic treatment outcome. Pain, 161 Suppl 1, S48-56. doi: 10.1097/j.pain.0000000000001981.
    • Hansen E, Zech N, Benson S (2020) Nocebo, informed consent and doctor-patient communication. Nervenarzt, 91(8): 691-699. doi: 10.1007/s00115-020-00963-4.
    • Bingel U, Schedlowski M, Kessler H (2019) Placebo 2.0: Die Macht positiver Erwartung: Die Macht der Erwartung. Rüffer&Rub Sachbuchverlag
    • Schedlowski, M Enck, P Rief, W, & Bingel U (2015) Neuro-Bio-Behavioral Mechanisms of Placebo and Nocebo Responses: Implications for Clinical Trials and Clinical Practice. Pharmacological Reviews, 67(3), 697–730. doi: 10.1124/pr.114.009423
    • Bingel U, Placebo Competence Team (2014) Avoiding nocebo effects to optimize treatment outcome. Jama, 312(7): 693-694. doi: 10.1001/jama.2014.8342.
    • Enck P, Bingel U, Schedlowski M, & Rief, W (2013) The placebo response in medicine: minimize, maximize or personalize? Nature Reviews Drug Discovery, 12(3), 191–204. doi: 10.1038/nrd3923
    • Bingel U, Wanigasekera V, Wiech K, Ni Mhuircheartaigh R, Lee MC, Ploner M, et al. (2011) The effect of treatment expectation on drug efficacy: Imaging the analgesic benefit of the opioid remifentanil. Science Translational Medicine 3: 70ra14. doi: 10.1126/scitranslmed.3001244
    • Weitere Studien unter:
INTERESSENSKONFLIKTE

 Der Autor/die Autorin hat keine Interessenskonflikte angegeben.

Für den für sich auf dieser Webseite befindlichen Links zu anderen Websites, gilt: Es gibt keinerlei Möglichkeit, den Inhalt dieser Seiten zu kontrollieren, da diese völlig unabhängig sind. Aus diesem Grund kann keinerlei Verantwortung für die Inhalte dieser Websites und die Folgen ihrer Verwendung durch die Besucher übernommen werden. Wir bitten Sie aber, uns umgehend auf rechtswidrige Inhalte der verlinkten Seiten aufmerksam zu machen.

Liebe Besucher:innen des Informationsportals,

um unser Angebot für Sie ständig zu verbessern würden wir uns freuen, wenn Sie uns kurz mitteilen, wie Sie die folgenden Aspekte unserer Seite bewerten. Bitte vergeben Sie für jeden Punkt einfach eine Schulnote von 1 bis 6 (1 = sehr gut, 6 = ungenügend).