Placeboforschung - Noceboeffekte

Zuletzt aktualisiert: 05.04.2024 | Autor: Ulrike Bingel

Wie bedeutsam ist der Noceboeffekt?

Grundsätzlich bezeichnet der Noceboeffekt die negativen Auswirkungen einer Erwartung auf das körperliche und seelische Empfinden. Er ist damit der negative Zwilling des Placeboeffekts, allerdings noch nicht so ausgiebig erforscht. Man kann aber objektiv messen, dass durch negative Erwartungen, Ängste und Sorgen körperliche Prozesse ausgelöst werden, die dann mit Nebenwirkungen wie Schmerz, Übelkeit, Fatigue, depressive Verstimmung oder sexuellen Störungen einhergehen. Vor allem bei Therapien von Krebserkrankungen treten diese Symptome häufig auf und können sogar zum Abbruch der Therapie führen. Hier sind Aufklärung und kommunikative Begleitung besonders entscheidend.

In der klinischen Praxis werden Noceboeffekte sehr oft durch das Lesen des für Laien meist schwer verständlichen Beipackzettels ausgelöst: Arzneimittel und Therapien können verschiedene Nebenwirkungen hervorrufen, deshalb ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass diese im Beipackzettel aufgeführt werden müssen. Die statistischen Angaben zu den möglichen Nebenwirkungen verunsichern Patientinnen und Patienten. Selbst wer sich mit Zahlen auskennt, ist vielleicht doch bei der Einordnung der Wahrscheinlichkeiten schnell überfordert. Zumal man sich sowieso schon in einer angstbesetzten Situation befindet. Allein wie der Arzt etwas formuliert, spielt dabei eine große Rolle. Man kann dem Patienten sagen: 10 Prozent der Patienten, die das Medikament einnehmen, spüren Nebenwirkungen. Oder: 90 Prozent vertragen das Medikament sehr gut. Es geht nicht darum, Informationen zu unterschlagen oder zu beschönigen, sondern sie so zu vermitteln, dass Patientinnen und Patienten sie angstfreier aufnehmen.

Ein anderes Beispiel: Erfahren Sie, dass ein Bekannter ein bestimmtes Medikament schlecht vertragen hat, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Medikament auch bei Ihnen suboptimal wirkt oder Nebenwirkungen hervorruft. Angst vor Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Magenschmerzen, kann zum Beispiel im Nervensystem körpereigene schmerzhemmende Substanzen blockieren, sodass die Schmerzleitung und -wahrnehmung verstärkt werden. Solche Noceboeffekte spielen im Alltag wahrscheinlich eine noch größere Rolle als der Placeboeffekt, sind aber viel weniger gut untersucht.

Warum gibt es den Noceboeffekt? Hat er auch etwas Positives?

Evolutionär sind wir dazu gemacht, negative Ereignisse stärker zu bewerten als positive. Wenn mir etwas droht, dann muss ich mir das sehr gut merken. Das ist ein Schutzmechanismus. Das Gute ist: Noceboeffekte sind Erwartungseffekte – und Erwartungen sind veränderbar, so dass man diese Effekte auch wieder aufheben oder abschwächen kann. Allein die Aufklärung über den Noceboeffekt kann schon dazu beitragen, seine negativen Effekte abzupuffern.

Nicht alle Menschen sind gleich empfänglich für den Nocebo-Effekt. Bei ängstlichen und pessimistischen Menschen kommt er im Durchschnitt häufiger vor. Häufig auftretende Alltagssymptome wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen werden dann auf eine Behandlung zurückgeführt, obwohl zwischen den beiden kein kausaler Zusammenhang besteht. In der Praxis ist es jedoch schwierig, die Stärke oder Häufigkeit des Noceboeffekts einzuschätzen, da dieser mit der „echten“ Wirkung von Medikamenten interagieren kann.

Link copied to clipboard!
Man kann objektiv messen, dass durch negative Erwartungen, Ängste und Sorgen körperliche Prozesse ausgelöst werden.
In der klinischen Praxis werden Noceboeffekte oft durch das Lesen des für Laien meist schwer verständlichen Beipackzettels ausgelöst, aber auch durch Vorinformationen aus den Medien.

Rechtefrei Copyright: LAMA Studios

  • REFERENZEN
    • Asan L, Bingel U, Kunkel A (2022) Neurobiologische und neurochemische Mechanismen der Placeboanalgesie. Schmerz, 36:205–212. doi:10.1007/s00482-022-00630-4
    • Bingel U (2020) Placebo 2.0: the impact of expectations on analgesic treatment outcome. Pain, 161 Suppl 1, S48-56. doi: 10.1097/j.pain.0000000000001981.
    • Hansen E, Zech N, Benson S (2020) Nocebo, informed consent and doctor-patient communication. Nervenarzt, 91(8): 691-699. doi: 10.1007/s00115-020-00963-4.
    • Bingel U, Schedlowski M, Kessler H (2019) Placebo 2.0: Die Macht positiver Erwartung: Die Macht der Erwartung. Rüffer&Rub Sachbuchverlag
    • Schedlowski, M Enck, P Rief, W, & Bingel U (2015) Neuro-Bio-Behavioral Mechanisms of Placebo and Nocebo Responses: Implications for Clinical Trials and Clinical Practice. Pharmacological Reviews, 67(3), 697–730. doi: 10.1124/pr.114.009423
    • Bingel U, Placebo Competence Team (2014) Avoiding nocebo effects to optimize treatment outcome. Jama, 312(7): 693-694. doi: 10.1001/jama.2014.8342.
    • Enck P, Bingel U, Schedlowski M, & Rief, W (2013) The placebo response in medicine: minimize, maximize or personalize? Nature Reviews Drug Discovery, 12(3), 191–204. doi: 10.1038/nrd3923
    • Bingel U, Wanigasekera V, Wiech K, Ni Mhuircheartaigh R, Lee MC, Ploner M, et al. (2011) The effect of treatment expectation on drug efficacy: Imaging the analgesic benefit of the opioid remifentanil. Science Translational Medicine 3: 70ra14. doi: 10.1126/scitranslmed.3001244
    • Weitere Studien unter:
INTERESSENSKONFLIKTE

 Der Autor/die Autorin hat keine Interessenskonflikte angegeben.

Für den für sich auf dieser Webseite befindlichen Links zu anderen Websites, gilt: Es gibt keinerlei Möglichkeit, den Inhalt dieser Seiten zu kontrollieren, da diese völlig unabhängig sind. Aus diesem Grund kann keinerlei Verantwortung für die Inhalte dieser Websites und die Folgen ihrer Verwendung durch die Besucher übernommen werden. Wir bitten Sie aber, uns umgehend auf rechtswidrige Inhalte der verlinkten Seiten aufmerksam zu machen.

Liebe Besucher:innen des Informationsportals,

um unser Angebot für Sie ständig zu verbessern würden wir uns freuen, wenn Sie uns kurz mitteilen, wie Sie die folgenden Aspekte unserer Seite bewerten. Bitte vergeben Sie für jeden Punkt einfach eine Schulnote von 1 bis 6 (1 = sehr gut, 6 = ungenügend).