Placeboforschung - Forschung und Praxis

Zuletzt aktualisiert: 23.08.2023 | Autor: Ulrike Bingel

Das hat die Forschung nachgewiesen

Viele Fragen der Placeboforschung warten noch auf Klärung und belastbare Antworten. Seit die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik in den letzten Jahrzehnten Fahrt aufgenommen hat, sind aber schon viele spannende Aspekte untersucht worden. Placebobehandlungen (z.B. im Rahmen von kontrollierten, randomisierten Studien), sowie Erwartungseffekte scheinen besonders groß bei subjektiven, individuell bewerteten Gesundheitsproblemen zu sein. Mit am besten untersucht sind diese Effekte bei Schmerzen. Auch im Bereich der Depression sind die Placeboeffekte groß. Hier eine Auswahl der wichtigen Studien:

  • Placebos wirken auch auf physiologische Vorgänge und objektiv messbare Zeichen einer Erkrankung: So haben britische Rheumatologen placebokontrollierte Studien mit Arthrosepatienten analysiert und gezeigt, dass ein Placebo nicht nur die Schmerzen reduzierte, sondern auch die Funktion verbesserte und die Gelenksteifigkeit verringerte.

  • Umso invasiver, umso mehr Placebo: So haben Scheinoperationen ganz besonders große Placeboeffekte. In einem Experiment in Houston/USA wurden 120 Patienten mit Knie-Arthrose operiert. 60 erhielten dabei nur oberflächliche Schnitte auf der Haut und keine echte Operation. Nach zwei Jahren waren 90 Prozent der Patienten beider Gruppen mit der Operation zufrieden. Einziger Unterschied war, dass die Nicht-Operierten sogar weniger Schmerzen verspürten als ihre Kontrollgruppe.
    Weitere Information zum Thema klinische Studien finden Sie hier: https://treatment-expectation.de/projekte-people/forschungsprojekte. Mehr Information zum Thema Ethik hier: https://treatment-expectation.de/vision-ziele/ethik

  • Kommunikation ist ein Wirkbeschleuniger von Placebos und echten Medikamenten: So zeigte eine groß angelegte randomisierte Studie an der Harvard Medical School bei Patientinnen und Patienten mit Reizdarmsyndrom, in der die Effekte einer Scheinakupunktur – also einer typischen Placebo-Intervention - untersucht wurden: Die Scheinakupunktur allein erbrachte nur kleine Verbesserungen der Symptome. Erst als die Scheinbehandlung mit einem positiven und einfühlsamen Kommunikationsstil kombiniert wurde, verbesserte sich die Symptomatik deutlich und nachhaltig.

  • Behandlung und Kommunikation wirken (mindestens) additiv. In einer Studie zu akuten postoperativen Schmerzen wurden die Patienten im Vorfeld der Operation darüber informiert, dass sie zusätzlich zur medikamentösen Schmerztherapie eine Behandlung mit Akupunkturnadeln erhalten können. Diese Information erfolgte entweder nüchtern-neutral oder aber in einem positiv-optimistischen Stil. Im Ergebnis war interessanterweise nach der Operation gar nicht relevant, ob mit Akupunkturnadeln behandelt wurde oder nicht. Entscheidend war die Art der Aufklärung: Diejenigen Patientinnen und Patienten, die bei der Aufklärung positive und optimistische Informationen erhalten hatten, berichteten nach der Operation über geringere Schmerzen und waren mit der Schmerztherapie zufriedener als diejenigen, die neutral aufgeklärt wurden.

In der Schlussfolgerung lässt sich also festhalten, dass Therapieeffekte – auch die Effekte von pharmakologisch wirksamen Substanzen – durch eine positive und empathische Kommunikation unterstützt und verstärkt werden.

Leider nutzen noch nicht alle Ärzte und Ärztinnen bewusst die therapiefördernden Möglichkeiten: Wie bespricht ein Arzt oder eine Ärztin, Physiotherapeuten oder ein(e) medizinische(r) Fachangestellte(r) die Behandlung mit dem Patienten oder der Patientin? Wie ist die genaue Wortwahl? Wie entscheidend sind dabei Gestik und Mimik? Die Kommunikation mit den Patienten hat nachweislich Auswirkungen darauf, ob und wie gut Medikamente wirken und wie verträglich sie sind. Es ist daher wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte sich die Zeit nehmen, Vertrauen aufzubauen und Patientinnen und Patienten über Ziele und Vorteile einer Behandlung zu informieren.

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Die Effekte positiver Erwartung auf Schmerz sind besonders gut erforscht.
Die Arzt-Patienten-Kommunikation ist ein entscheidender Faktor bei Placebo- und Nocebeffekten.

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  • REFERENZEN
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    • Bingel U, Schedlowski M, Kessler H (2019) Placebo 2.0: Die Macht positiver Erwartung: Die Macht der Erwartung. Rüffer&Rub Sachbuchverlag
    • Schedlowski, M Enck, P Rief, W, & Bingel U (2015) Neuro-Bio-Behavioral Mechanisms of Placebo and Nocebo Responses: Implications for Clinical Trials and Clinical Practice. Pharmacological Reviews, 67(3), 697–730. doi: 10.1124/pr.114.009423
    • Bingel U, Placebo Competence Team (2014) Avoiding nocebo effects to optimize treatment outcome. Jama, 312(7): 693-694. doi: 10.1001/jama.2014.8342.
    • Enck P, Bingel U, Schedlowski M, & Rief, W (2013) The placebo response in medicine: minimize, maximize or personalize? Nature Reviews Drug Discovery, 12(3), 191–204. doi: 10.1038/nrd3923
    • Bingel U, Wanigasekera V, Wiech K, Ni Mhuircheartaigh R, Lee MC, Ploner M, et al. (2011) The effect of treatment expectation on drug efficacy: Imaging the analgesic benefit of the opioid remifentanil. Science Translational Medicine 3: 70ra14. doi: 10.1126/scitranslmed.3001244
    • Weitere Studien unter:
INTERESSENSKONFLIKTE

 Der Autor/die Autorin hat keine Interessenskonflikte angegeben.

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